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Architekten- und Ingenieurverhältnis

Unentgeltliche Akquisition oder entgeltlicher Auftrag?

Dr. Urs Hess-Odoni, Rechtsanwalt und Notar, Dozent HTA Luzern/Horw, Rechtsberater der USIC

Die Frage, bis wann Architekten- oder Ingenieurtätigkeiten unentgeltliche Akquisitionsbemühungen darstellen und wann sie zu honorarpflichtigen Vertragsleistungen werden, bildet ein Dauerthema des Baurechts. Ohne die gefestigte Praxis der Vermutung der Honorarpflicht in Frage zu stellen, drängen sich auf dem Hintergrund der Bauwirklichkeit doch gewisse Differenzierungen auf.

1. Obwohl die Rechtsnatur des Architekten- oder Ingenieurvertrages in Lehre und Rechtssprechung umstritten ist, gehen wir bei der Diskussion der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit der Leistungen primär von den Bestimmungen über den Auftrag aus. Die Anwendung der werkvertraglichen Bestimmungen ergäbe aber im we-sentlichen die gleichen Antworten. 2. Der schweizerische Gesetzgeber hat mit der Formulierung von Art. 394 Abs. 3 OR (Eine Vergütung ist zu leisten, wenn sie verabredet oder üblich ist) die Frage nach der Entgeltlichkeit von Auftragsleistungen offen gelassen. Das schweizerische Recht geht weder von einer Vermutung der Unentgeltlichkeit aus noch macht es die Entgeltlichkeit zu einem wesentlichen Vertragsmerkmal des Auftrages. Die Honorierung muss daher entweder (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbart sein oder sich aus der Verkehrsübung ergeben. Sonst ist der Auftrag unentgeltlich. 3. In Übereinstimmung mit der Wirtschaftswirklichkeit gehen Lehre und Rechtsspre-chung davon aus, dass die Kommerzialisierung und Professionalisierung des Dienstleistungsbereiches zu einer faktische Vermutung für die Entgeltlichkeit von Auftragsleistungen führen. Abweichende Vereinbarungen bleiben aber natürlich jederzeit vorbehalten, wobei solche Unentgeltlichkeitsvereinbarung formlos, insbesondere auch stillschweigend getroffen werden können. Zudem bleibt auch die Möglichkeit bestehen, dass in einem bestimmten Bereich eben keine Praxis (Übung) der Honorierung existiert.

4. Immer dann, wenn klare und ausdrückliche Vereinbarungen vorliegen, stellen sich die hier zu diskutieren Fragen nicht. Es ist aber branchenüblich, dass sich Architekten- und Ingenieurverhältnisse sehr oft "nahtlos" aus ersten Kontaktaufnahmen und Abklärungen heraus entwickeln, wobei ausdrückliche oder gar klare Abmachungen kaum je getroffen werden. Dementsprechend häufig sind denn auch Diskussionen und Streitigkeiten über die Frage der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit von Architekten- und Ingenieurleistungen.

Erste Bedingung: Zustandekommen eines Vertrages

5. Die Regelung von Art. 394 Abs. 3 OR kommt nun natürlich nur zur Anwendung, wenn überhaupt ein Auftrag zwischen Bauherrn (Auftraggeber) und Archi-tekt/Ingenieur (Auftragnehmer) zustandgekommen ist. Solange kein Vertrag be-steht, kann naturgemäss auch kein Honoraranspruch geltend gemacht werden.

6. Bevor über die Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit diskutiert werden kann, muss daher immer geprüft werden, ob es überhaupt einen Architekten-/Ingenieurvertrag gibt. Dabei liegt die Beweislast für das Vorliegen eines Vertrages klar beim Architekten/Ingenieur, der einen Honoraranspruch geltend machen will (Art. 8 ZGB).

7. Für das Zustandekommen eines Architekten-/Ingenieurvertrages gelten die nor-malen Vorschriften über den Vertragsschluss von Art. 1 ff. OR. Es braucht überein-stimmende gegenseitige Willenserklärungen des Auftraggebers und des Auf-tragnehmers. Das Auftragsrecht enthält grundsätzlich keine besonderen Vorschriften, denn Art. 395 OR regelt trotz seines umfassenden Marginales "Entstehung" nur einen Spezialfall zu Art. 6 OR (stillschweigende Annahme einer Vertragsofferte).

8. Wie bei jedem anderen Vertrag (Kauf, Miete, Unternehmerwerkvertrag usw.) ge-hen auch beim Architekten- und Ingenieurverhältnis einem allfälligen Vertragsab-schluss Vorgespräche und Vorabklärungen voraus , die noch nicht unter den Vertrag selber fallen und daher als reine Akquisitionstätigkeiten auch nicht honorierungspflichtig sind . Solche Vorgespräche müssen sich naturgemäss bereits auf das vom Bauherrn gewünschte konkrete Bauvorhaben beziehen, denn nur so können die Parameter einer möglichen Zusammenarbeit (Baugrundstück, Raumprogramm, Rahmenbedingungen eines Auftrages wie Baukosten, Ausbaustandard usw., Terminvorstellungen, Honorarvorstellungen usw.) verhandelt und bereinigt bzw. die gegenseitigen Vorstellungen aufeinander abgestimmt werden. Dazu wird der Bauherr dem Architekten/Ingenieur auf jeden Fall gewisse Informationen, Vorstellungen und Wünsche unterbreiten, ohne dass damit bereits der Wille zu einem Vertragsabschluss zum Ausdruck kommt. Es wird auch kaum zu vermeiden sein, dass der Architekt/Ingenieur bereits in diese Vorphase gewisse Konzept- und Projektideen auf den Tisch legt, um seine "Leistungsart und seine Qualitäten" als Verhandlungsargument ins Gespräch zu bringen ("zu verkaufen"). Auch dies stellt nicht automatisch eine stillschweigende Willenserklärung zum Vertragsabschluss dar.

9. Aus diesem Grund muss klar festgestellt werden, dass aus dem Nachweis solcher konkreter Gespräche und Verhandlungen zwischen einem Bauherrn und einem Architekten/Ingenieur noch nicht zwingend auf das Zustandekommen eines Vertrages geschlossen werden kann. Mit dem Nachweis solcher konkreter Gespräche kann der Architekt/Ingenieur somit seine Beweislast für das Zustandekommen eines Vertrages eindeutig noch nicht erfüllen. Es braucht mehr.

10. Selbstverständlich ist zu beachten, dass die für einen Vertragsabschluss not-wendigen übereinstimmenden gegenseitigen Willensäusserungen gemäss Art. 1 Abs. 1 OR nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend bzw. konkludent vorgenommen werden können . Dies bedeutet, dass aus den unverbindlichen, noch nicht zum Vertrag gehörenden Vorgesprächen und "Vorleistungen" ohne formellen Akt ein Vertrag entstehen kann, wenn dies dem Willen der beiden Vertragsparteien entspricht. Dies ist dann der Fall, wenn die Fortsetzung der Vorgespräche dem gegenseitig ausgedrückten Willen beider Parteien entspricht, nun wirklich miteinander eine vertragliche Beziehung einzugehen. Obwohl damit logisch-strukturell ein genau definierter Zeitpunkt, nämlich der Zeitpunkt des Konsenses im Sinne von Art. 1 OR gegeben und massgebend ist, erscheint der Übergang von aussen als unscharf und fliessend, so dass er beweismässig nur schlecht nachzuweisen ist. Es ist auch zu beachten, dass das Zustandekommen eines Konsenses und damit der Abschluss eines Vertrages keineswegs zu vermuten sind. Dies gilt generell, aber in bezug auf Architekten- und Ingenieurverträge auch deshalb, weil in der heutigen Wirklichkeit des Baumarktes gescheiterte Akquisitionsbemühungen durchaus häufig und üblich sind. Werden überdies in diesem Zusammenhang bzw. in dieser Phase Ausdrücke wie "unverbindlich" oder "ohne Verpflichtung" gebraucht, so sind sie ein starkes Indiz, dass noch kein Vertrag zustandgekommen ist . Gegen einen Vertragsabschluss fällt auch ins Gewicht, wenn der Bauherr in dieser Phase noch mit mehreren Architekten oder Ingenieuren Kontakt hat und verhandelt, denn es ist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht anzunehmen, dass er mehr als einen Archi-tekten- oder Ingenieurvertrag für sein Bauvorhaben abschliessen will. Ebenso ist nicht zu vermuten, dass der Bauherr schon einen Vertrag schliessen will, bevor er sich überhaupt für ein Baugrundstück entschieden oder dieses erworben hat .

11. Diese Beweisschwierigkeiten wirken sich immer zu Lasten des Architekten oder Ingenieurs aus, der ein Honorar beanspruchen will und daher die Beweislast für den Konsens trägt. Kann er diesen nicht klar nachweisen, so muss der Richter seine Forderung im Zweifel abweisen. 12. Es ist dem Architekten oder Ingenieur daher dringend zu empfehlen, dem Bau-herrn sofort schriftlich zu bestätigen, wenn er den Auftrag als zustandgekommen und seine Leistungen als honorarpflichtig betrachtet . Tut er dies nicht, so muss er mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auf ein Honorar verzichten. Eine solche Bestätigung hat zwar nicht den gleichen Beweiswert wie eine ausdrückliche Vereinbarung, sie verbessert aber die Beweissituation des Architekten oder Ingenieur doch wesentlich. Hätte der Bauherr nämlich eine andere Auffassung, so müsste er dies nach Treu und Glauben kundtun und den Inhalt des Briefes zurückweisen. Dadurch würde auf jeden Fall Klarheit geschaffen.

Skizze einer Bestätigung des Architekten oder Ingenieurs

Sehr geehrter Herr A

Es freut mich, dass Sie mir im Rahmen der gestrigen Besprechung den Auftrag erteilt haben, in einer ersten Phase für ihr mögliches Bauvorhaben auf dem Grundstück xxx Skizzen und Vorprojektsstudien zu erarbeiten sowie erste Kostenüberlebungen zu anzustellen.

Gerne werde ich Ihren Auftrag zu den Bedingungen der Ordnung SIA 102 für Lei-stungen und Honorare der Architekten erfüllen.

Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen und grüsse Sie freundlich

13. Zusammenfassend muss man betonen, dass aus den ersten konkreten Gesprächen zwischen einem Bauherrn und einem Architekten/Ingenieur noch nicht auf das Vorliegen eines Auftrages geschlossen werden kann. Damit gibt es für diese Phase auch keine faktische Vermutung der Entgeltlichkeit. Wenn dem Architekten oder Ingenieur nicht der klare Beweis für das Zustandekommen eines Konsenses gelingt, muss er daher mit seiner Honorarforderung scheitern. Die Situation der Architekten und Ingenieure ist in der Akquisitionsphase nicht besser als diejenige irgendeiner anderen Person, die im Hinblick auf einen möglichen Vertragsabschluss Vorleistungen erbringt.

14. Das Gleiche würde auch gelten, wenn der Architekten- oder Ingenieurvertrag dem Werkvertragsrecht unterstellt würden. Auch dort ist ein Werklohn nur dann geschuldet, wenn ein Werkvertrag durch gegenseitige übereinstimmende Willensäusserungen des Bestellers und des Unternehmers überhaupt zustande gekommen ist. Auch dann trägt der Unternehmer, welcher den Werklohn fordert, dafür die Beweislast für den Konsens über den Abschluss des Werkvertrages.

Wann besteht die faktische Vermutung der Entgeltlichkeit bei einem Architekten- oder Ingenieurvertrag?

15. Nach der gefestigten sowie richtigen Lehre und Rechtssprechung besteht gestützt auf Art. 394 Abs. 3 OR eine faktische Vermutung der Entgeltlichkeit, wenn einmal das Zustandekommen eines Vertrages nachgewiesen ist. Dies gilt für die Architekten- und Ingenieurverträge genauso wie für andere Arten von kommerziellen Aufträgen. Diese Vermutung baut auf der grundsätzlich berechtigten Annahme auf, dass solche Leistungen üblicherweise nur gegen Entgelt erbracht werden.

16. Diese Grundannahme der Entgeltlichkeit der Architekten- und Ingenieurleistungen muss aber auf dem Hintergrund der Bauwirklichkeit immer wieder überprüft werden. Sie darf nicht einfach als Glaubenssatz vorausgesetzt werden. Konkret ist es so, dass der Architekt oder Ingenieur, welcher sich auf die Übung der Entgeltlichkeit beruft, dafür die Beweislast trägt (Art. 8 ZGB). Wird diese Übung in einem konkreten Fall vom Bauherrn und Auftraggeber bestritten, so muss der Architekt oder Ingenieur diese Übung nicht bloss substanziert und konkret für die fragliche Leistungsphase behaupten , sondern auch beweisen . Im Zweifelsfall hat der Richter gegen die Entgeltlichkeit zu entscheiden.

17. Es ist - unabhängig davon ob man diese Entwicklung begrüsst oder ablehnt - in der Bauwirklichkeit Mode und Übung (je nach der Sichtweise Sitte oder Unsitte, aber doch immerhin Realität) geworden, dass viele Architekten und teilweise auch Ingenieure am Anfang eines Vertrages Leistungen "auf Risiko" bzw. "ohne Kostenfolgen" erbringen. Das bedeutet, dass sie die Leistung auf eigene Kosten und ohne Verrechnung an den Bauherrn erbringen, um damit eine gute Ausgangssituation für einen weiteren Auftrag zu erhalten. Oftmals besteht eine Art Konkurrenzsituation, in der mehrere Architekturbüros nebeneinander ganze Vorprojekte oder doch Vorprojektstudien erstellen, wobei für alle Beteiligten klar ist, dass diese nur dann zu honorieren sind, wenn der Bauherr sich überzeugen lässt und gestützt darauf einen honorarpflichtigen Weiterbearbeitungsauftrag erteilt. Bejaht man für eine solche Situation das Vorliegen eines Auftrages , so kann jedenfalls nicht gesagt werden, für derartige Leistungen sei die Honorierung üblich. Dabei ist zu beachten, dass auch Lehre und Rechtssprechung die Möglichkeit der stillschweigenden Vereinbarung der Unentgeltlichkeit ausdrücklich vorsehen . Darum dürfte es dem Architekten oder Ingenieur unter Berücksichtigung der konkreten Marktverhältnisse äusserst schwer fallen, den Beweis zu erbringen, dass für solche Arbeiten der ersten Phase (erste Skizzen, Vorprojektstudien, Vorprojekte, erste Kostenüberlegungen) eine Honorierung üblich sei. Auch wenn noch keine faktische Vermutung der Unentgeltlichkeit besteht und nachgewiesen werden kann, fehlt es realistisch betrachtet am Beweis einer Übung der Entgeltlichkeit. Dies aber ist entscheidend.

18. Wiederum ist den Architekten und Ingenieuren daher dringend zu empfehlen, vorgängig zu solchen Leistungen eine schriftliche Bestätigung an den Bauherrn abzugeben, falls sie solche Leistungen honoriert haben möchten . Ohne ein solches Dokument dürfte ein Honoraranspruch für die Anfangsleistungen (Vorprojektstudien, Vorprojekt) kaum durchzusetzen sein.

19. Anders ist die Situation dagegen für die nachfolgenden Leistungen, nämlich für die Teilleistungen der Projekt-, der Vorbereitungs-, der Ausführungs- sowie der Abschlussphase. Hier kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Honorierung branchenüblich ist. Solche umfassenden Arbeiten haben mit Akquisition nichts mehr zu tun und sind auch in der heutigen Bauwirklichkeit ganz allgemein zu honorieren.

20. Wie ist nun aber die Frage der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit von Anfangsleistungen zu beurteilen, wenn man den Architektenvertrag dem Werkvertragsrecht unterstellt? Hier ist vorab zu beachten, dass der Werkvertrag begriffswesentlich entgeltlich ist. Soll eine Leistung unentgeltlich erbracht werden, so fällt sie selbst dann unter das Auftragsrecht, wenn sie sonst dem Werkvertragsrecht zuzuordnen wäre . Dabei hat wiederum der Architekt oder der Ingenieur die Beweislast für das Zustandekommen eines Werkvertrages durch einen Konsens, der alle begriffswesentlichenss Merkmale des Vertrages umfasst. Damit muss wiederum die Üblichkeit der Vergütung bewiesen werden, wenn keine klare Vereinbarung nachgewiesen werden kann. Somit ergeben sich die genau gleichen Probleme und Schwierigkeiten wie bei einer Auftragsqualifikation des Architekten-/Ingenieurvertrages. 21. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die allgemein anerkannte faktische Vermutung der Entgeltlichkeit der Architekten- und Ingenieurleistungen aufgrund der Bauwirklichkeit in der Anfangsphase eines Vertragsverhältnisses noch nicht spielen kann. Hier liegt immer noch die Beweislast für die Entgeltlichkeit beim Architekten oder Ingenieur, der sich den entsprechenden Beweis sichern muss, wenn er sich vor Enttäuschungen bewahren will. Die herrschende Lehre und Praxis muss daher auf dem Hintergrund der Bauwirklichkeit präzisiert werden. Damit besteht für die Architekten und Ingenieure ein Handlungs- und Klarstellungsbedarf.