U-Bahn für Zürcher Goldküste
Was macht man, wenn die Schwiegermutter auf Besuch kommt?
Man putzt die Wohnung und richtet ein zusätzliches Schlafzimmer her.
Doch was macht man, wenn die Bevölkerung wächst?
Politiker-Innen von links bis rechts weichen seit Jahrzehnten dieser Frage aus und behaupten, dass unsere Städte gebaut seien- oder das Boot voll sei. Doch was die Politiker zuweilen vergessen, ist ihr Auftrag, der Bevölkerung, die Zukunft möglichst positiv zu organisieren.
Ende Juni 2013 publizierte die Baudirektion des Kantons Zürich das Leitbild "Zürichsee 2050" was lobenswert ist. Doch leider machen sich die Verfasser des Leitbildes keine Gedanken wie viele Menschen bis 2050 in der Region Zürichsee leben, wo und was sie arbeiten- und wie sie von A nach B kommen werden.
Ebenso fehlen Visionen für die Organisation des zusätzlichen Verkehrs auf Strasse und Schiene.
www.zh.ch/internet/de/aktuell/news/medienmitteilungen/2013/155_leitbild_zuerichsee.html
Natürlich kann ein Leitbild mit diesem Zeithorizont nicht scharf umrissen sein, doch man könnte zumindest (mit Daten des Statistischen Amtes) Szenarien formulieren wie z.B.
„Bevölkerungswachstum verlangsamt sich“ oder
„Bevölkerungswachstum geht mit durchschnittlichem Tempo weiter“.
Der ZVV ist hier konkreter und rechnet laut NZZ vom 12.7.2013 mit einer gleichbleibenden jährlichen Zunahme von 3% und einer längerfristigen Halbierung des S-Bahn Taktes.
Es ist klar, dass es nicht an uns persönlich oder einem einzelnen Politiker liegt, die Zukunft zu bestimmen, doch wir sind auch nicht frei davon, unser Bestmögliches zu versuchen, dass die Standortqualität am Zürichsee hoch gehalten werden kann und man auch mit grösserer Bevölkerungszahl eine hohe Lebensqualität garantiert und Verkehrsstrukturen schafft, mit welchen man von A nach B kommt, ohne dass unsere Siedlungskerne an Verkehrsinfarkten zu Grunde gehen.
Bekanntlich sind die Infrastruktur-Bauten die wahren Kräfte des Städtebaus und nicht etwa die Planungsämter oder die über Beziehungsmacht operierenden Ortsplaner.
Küsnacht, Erlenbach und Meilen versuchen- jede Gemeinde für sich- über die Möglichkeiten der Lokal-Politik ein regionales Problem zu lösen und schaffen es deswegen nicht, mit ihren Zentrumsplanungen vorwärts zu kommen.
Dabei wäre es möglich, alle Zentrumsprobleme zu lösen, und darüber hinaus für die ganze Goldküstenregion positive Impulse zu generieren.
Den Vorschlag, bis 2050 die S-Bahn von Stadelhofen bis Rapperswil (zumindest partiell) tiefer zu legen, haben wir im Okt. 2012 anlässlich des städtebaulichen Architekturwettbewerbes für die Zentrumsplanung von Küsnacht konkretisiert (vgl. Zentrumsplanung Küsnacht)
Amberg Engineering, das in Europa grösste Ingenieurbüro für Tunnelbau hat mit einer Machbarkeitsstudie und einer Kostenschätzung aufgezeigt, dass sich eine solche Lösung auch finanziell rechnet, da die momentan durch Gleisanlagen belegten Zentrumsflächen bebaut werden könnten und auch bei ungenügender Bautiefe attraktiver Raum für z.B. Velo- oder Fusswege frei würde.
Da die Zäsur der Dörfer durch die Bahntrassees wegfallen würde, könnten auch die übrigen Verkehrsprobleme gelöst- -und teure Kunstbauten für Autos oder Fussgänger überflüssig werden.
Da dieser Vorschlag auch allen privaten Grundeigentümern Vorteile bringt, darf man getrost von einer win-win-Situation sprechen.
Dass die SBB die Taktrate der S-Bahnen weiter senken werden ist ebenso absehbar, wie die Tatsache, dass das monozentrisch organisierte Zürich, den immer dichter werdenden öffentlichen- und individuellen Verkehr nicht mehr verdauen kann.
Nicht gelöste Verkehrsprobleme schlagen aber auf die Wirtschaftsleistung einer Region durch.
Ein kleines Beispiel kann dies erläutern:
Person A wohnt in Meilen und arbeitet im Uetlihof, Person B wohnt in Küsnacht und arbeitet an der ETH Hönggerberg, Person C wohnt in Erlenbach und arbeitet in der Swiss-Re. Allen gemeinsam ist der Umstand, dass sie morgens und abends ca. eine Stunde Arbeitsweg haben. Geht man von einem 8 bis 10 stündigen Arbeitstag aus, beträgt der Aufwand für den Arbeitsweg rund 20 bis 25% des Arbeitstages.
(Vielleicht könnte man die Beispiele ersetzen mit einem Satz wie:
Wer in einer Goldküstengemeinde lebt und in Zürich arbeitet, wendet jeden Tag 20 bis 25% des Arbeitstages für den Weg auf.)
Doch wenn Richtpläne die Dorfzentren - so wie der momentan in Küsnacht diskutierte - ausdünnen statt verdichten, gibt es kein Entwicklungspotential für Arbeitsplätze in den gut erschlossenen Zentren der Seegemeinden und die Arbeitnehmer müssen weiterhin pendeln.
Prosperierende Regionen sind sich dem Verkehrsproblem bewusst und planen ihre Infrastrukturen vorausschauend, damit es nicht zum Verkehrsinfarkt kommt.
Wir haben es in der Hand, die Planungshoheit konservativen Politikern und Ämtern zu überlassen oder visionäre Projekte zu unterstützen, welche positive Impulse auf die ganze Region auslösen können.
Gäbe es keine visionären Köpfe, wäre der Gotthardtunnel nie gebaut- und weder Swatch noch Apple jemals gegründet worden.
Überhaupt gibt es einen grundsätzlichen Zielkonflikt von langfristiger Planung und lokaler Parteipolitik.
Bei der langfristigen Planung können erst unsere Kinder von den heutigen Entscheiden profitieren.
In der Politik geht es aber immer darum, gewählt zu werden.
Um dies sicherzustellen braucht es eine Mehrheit aus der Bevölkerung und deshalb wird sich kaum ein Politiker für visionäre Projekte einsetzen, denn deren Halbwertszeit überdauert seine Amtszeit um ein Vielfaches.
Aus statistischen Umfragen weiss man zudem, dass die Meinung der Bevölkerung eher konservativ ist und innovative Planungen die Stimmbürger eher verunsichern als beruhigen.
Planer sollten sich aber nicht an dieser konservativen Mehrheitsmeinung orientieren, denn diese ist eine tradierte und dadurch eine vermeintlich richtige Meinung, weil sie Sicherheit suggeriert - salopp ausgedrückt: wenn wir nichts verändern, bleibt alles gut.
Sowohl bei sinkenden Schiffen als auch bei anderen, sich zuspitzenden
Verkehrsproblemen, ist diese Haltung jedoch fatal.
Amtsstellen werden oft über politische Zugehörigkeit und nicht Fachkompetenz besetzt, was dazu führen kann, dass Ämter sich durch Machtkämpfe ausbremsen statt synergetisch miteinander zusammen zu arbeiten.
Anhand der vielen schlecht koordinierten Baustellen in der Region Zürich und der Tatsache, dass Strassen innert weniger Jahren mehrmals aufgerissen werden, glaubt man kaum, dass unsere Tiefbauämter eine koordinierte Planung über grosse Zeithorizonte beherrschen oder gar den Lead bei der Planung spielen könnten.
Unter dem Gesichtspunkt, dass stärker Macht- denn Sachpolitik betrieben wird, ist es nachvollziehbar, wieso sich der ehemalige Gemeindepräsident von Küsnacht mit dem ehemaligen Chefbeamten aus Zürich, welcher in Küsnacht als Jurypräsident amtete, selbstherrlich über den an der Gemeindeversammlung demokratischen gefällten Entscheid hinwegsetzten, den Wettbewerb für die Zentrumsplanung mit einer vorgezogenen städtebaulichen Runde zu starten.
Als Alibiübung wurde zwar eine erste städtebauliche Stufe ausgeschrieben, doch bei der Jurierung wurde auf diese gar nicht eingegangen.
Ein Juryentscheid ist von den Teilnehmern zu akzeptieren.
Trotzdem darf man man sich auch als Teilnehmer die Frage erlauben, nach welchen Kriterien juriert wurde, wenn offensichtlich nur ästhetische und formale Kriterien für einen städtebaulichen Wettbewerb ausschlaggebend waren. Obwohl sich das Siegerprojekt durch gutes Design auszeichnet, muss man sich fragen, was die Kosten von über 70 Millionen rechtfertig, da auf der funktionalen Ebene viele Probleme ungelöst bleiben und für das Zentrum, kein Mehrwert erzeugt werden kann.
(vgl.Zentrumsentwicklung Küsnacht)
Die Vision einer U-Bahn für die Goldküsten wird es mit den politischen Verhältnissen und Strukturen schwer haben.
Bei der städtebaulichen Verkehrsplanung verhindern - kurzfristiges und lokales Denken sinnvolle Lösungen und deshalb liegt es an uns allen, dies zu ändern.
Urs Esposito, 19. August 2013